Noch immer steht die Veranstaltungsbranche still. Auch wenn mit dem bevorstehenden Sommer wieder kleinere Events möglich sein werden, so steht einer Normalisierung der Veranstaltungs- und Clubkultur noch sehr viel im Wege. Doch wie sind wir bisher durch diese Krise gekommen? Mit “wir” meinen wir Clubs, Veranstalter*innen und Acts aus unserem Umfeld. Wir haben daher bei einigen angefragt, und hier sind die Antworten, die wir zum Thema “Über 1 Jahr Pandemie” bekommen haben:
Nana (Elferclub)
Inhaberin Elferclub Frankfurt
Langsam verschwindet das Gefühl dafür, wie lange wir schon geschlossen haben. Wenn ich jetzt ab und zu in den Laden fahre, um die Post abzuholen, fühlt sich dort alles total unwirklich an. Die Gläser, die auf der Theke stehen, und der verlassene Kassentisch, das eingestaubte DJ-Pult. Das Alles wirkt wie Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Jedes Wochenende mit den Kollegen, Bekannten und weniger bekannten Gesichtern ein paar Drinks kippen. Über die wichtigen und unwichtigen Dinge plaudern. Schnell noch irgendwo Eiswürfel besorgen, oder einen Ersatzthekenmenschen organisieren, weil jemand plötzlich krank geworden ist. Das fühlt sich so weit weg an.
An den meisten Tagen schiebt man das irgendwie von sich weg, kümmert sich um den „neuen Alltag“ – also geht einmal am Tag zum Einkaufen und versucht regelmäßig die Jogginghose zu wechseln und allen nötigen Papierkram zu erledigen. Denn der „trockene“ Teil der Arbeit ist ja geblieben, Steuern, Miete, Formulare. Man ist ständig irgendwo zwischen all den Bekanntmachungen und Infos zu Hilfen und versucht trotzdem nicht ständig den katastrophalen Kontostand und die nächste Miete im Kopf zu haben. Nicht zu resignieren und den Kopf oben zu behalten, vor allem, wenn Gäste, Freunde und Bands Fragen stellen, zu Perspektiven und Zukunft, die man aber selbst gar nicht beantworten kann. Kopfschüttelnd beobachtend, wie manche Kollegen in Wutbürgertum und Verschwörungstheorien abdriften. Die existenzielle Not und Verzweiflung aber doch irgendwo verstehend, die sie dorthin fehlgeleitet hat.
Denn wir sind alle im gleichen grauen apathisch-machenden Nebel der Unsicherheit, und es gibt nicht – wie sonst meistens – einen „Feind“, gegen den man was tun kann. Gegen den man sich wehren kann, aktiv an seinem Schicksal was ändern. Diesmal ist das, was uns kaputt macht, nicht (an)greifbar und es gibt keine einfachen Antworten. Auf keine der Fragen. Keine Petition, Demo oder offener Brief hilft gegen einen Virus. Und egal wie wichtig mir mein Laden ist, Menschenleben sind wichtiger, das steht nie zur Debatte.
Die Hilflosigkeit, dass ich nichts wirklich tun kann, macht mich persönlich dann manchmal noch wütender. Aber manchmal beruhigt es mich auch, dass ich nicht Schuld bin an meiner desaströsen geschäftlichen Situation. Denn ich habe nichts falsch gemacht – keiner von uns hat das.
Aber dann, von Zeit zu Zeit, trifft es einen doch richtig hart. Freitagabends um 22:30 Uhr, wenn man eigentlich gerade im größten Stress wäre, um rechtzeitig die Tür aufzumachen. Dann ist es wie ein Tritt in die Magengrube und man vermisst alles gleichzeitig. Dann möchte man alle anrufen und mit ihnen trinken und lachen und die anstrengende Woche vergessen, irgendwo im Dunklen in der Ecke stehend und Leute über den ohrenbetäubenden Bass ihre Freude rausschreiend hören. Und dann seufzt man einmal ganz tief und macht irgendeine Seite mit Nachrichten auf und ruft natürlich niemanden an. Wie das ganze letzte Jahr.
Talla 2XLC (Technoclub)
Deejay / Producer / Labelbetreiber / Veranstalter
Es ist schon krass, wenn alles, was man seit Jahrzehnten mit voller Inbrunst und Leidenschaft lebt, plötzlich verboten ist oder in Mitleidenschaft gezogen wird.
Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich zum ersten Mal von Covid hörte, als es 8446 km entfernt in Wuhan ausbrach. Ich dachte so: Ach, wieder so eine Seuche in China, die kommt bestimmt auch zu uns und verschwindet wieder nach kurzer Zeit, so wie all die Anderen auch. Doch diesmal nicht.
Am 14. März 2020 wollte ich meinen Birthday im Offenbacher MTW feiern. 12, zum Teil internationalen DJs waren geplant. Einige sagten kurz vorher ab. Tomcraft hing in Sardinien fest, Pablo kam nicht aus Bilbao heraus und mein DJ Freund aus Finnland hatte Angst wegen seiner schwangeren Frau. Am 13. März, meinem Geburtstag, saß ich dann den ganzen Tag vorm PC und starrte auf den Bildschirm. Ich wartete darauf, was der OB von Offenbach zum Thema verlauten lassen wollte. Um ca. 17 Uhr kam dann die Meldung, dass ab dem Tag alle Veranstaltungen abgesagt werden. Peng! Tausende Euros in die Werbung und Plakate gesteckt, alles Futsch. Black Saturday.
Sonntags hing ich dann auf der Couch herum und mir schwante schon, dass in der Zukunft alles abgesagt werden und es auch nicht im Sommer vorbei sein würde. Ich war geschockt, wie sollst Du Deine Miete zahlen, Auto weg? – Rücklagen waren nicht vorhanden, da im Jahr zuvor nicht immer alles so glattlief. Was nun? Endzeit? Alles vorbei? Ich brauchte einige Tage, um mich mental einigermaßen wieder zu festigen.
Zumindest die Grundsicherung klappte ziemlich schnell, da muss ich dem Jobcenter danke sagen. Auch sonst waren erste finanzielle Hilfen möglich, aber wenn man bedenkt, dass bis August 2020 – 41 meiner Gigs und Eigenevents pulverisiert wurden, bis heute natürlich noch viel mehr, das ist irgendwie kaum greifbar.
Als ich beim ersten Lockdown auf der A66 fuhr und alles menschenleer war, schüttelte ich fassungslos den Kopf. Wie ein schräger Endzeitfilm. Ich konnte es nicht fassen. Bis heute bin ich über alles sehr erschüttert. Lockdownmania.
Vor allem wir Kulturschaffenden sind mit am beschissenen dran, wir machten alles als Erste dicht und werden wahrscheinlich noch wesentlich länger warten, bis Indoor wieder etwas möglich sein wird. Auch dann wird es wohl noch dauern, bis ein gewisser Normalzustand wieder eintreten kann.
Ob es überhaupt so wird wie früher? Wir wissen es nicht. 2 Jahre neue Generationen, sind erst einmal für die Clubs verloren. Nähe wieder richtig spüren? Kann sein, aber viele werden auch Angst haben, weil man sich auch nach den Impfungen zumindest anstecken kann.
Der Staat hat einiges richtig gemacht, aber vieles auch falsch oder zu spät. Vor allen Dingen konnten sie nie die Clubs und unsere Liebe zur Musik richtig verstehen. Als Söder sagte: „wollen Sie tanzen, dann nur mit Ihrer Partnerin zu Hause“. Da entgleisten einem doch echt alle Gesichtszüge. Liebe Politiker: You don´t know what Techno is, you don´t know how we feel! Musik ganz allgemein in Clubs und auf Festivals zu erleben, ist für das Seelenheil der Menschen essenziell wichtig…
Bis heute halte ich mich mit der Grundsicherung und den Hilfen einigermaßen über Wasser. Um nicht ganz durchzudrehen, streame ich seit Mai 2020 dreimal die Woche auf Twitch, danke an der Stelle an Grille für seinen Support. Ohne das wäre ich mental am Ende. Meine zweite Impfung habe ich bald und ich hoffe, dass dieser Spuk auch mal ein Ende nehmen wird und es danach keine erneute Seuche gibt. Dafür mache ich auch gerne Abends mal ein Stoßgebet.
Grille (Toxic Family / Tanzhaus West)
Deejay / Veranstalter / Labelbetreiber/ Szeneaktivist
Es ist nun bereits über ein Jahr her, seit alles anfing brach zu liegen. Und bei allem positiven Optimismus für die Zukunft, es wird wohl noch eine Weile so bleiben. Darauf habe ich mich eingestellt. Seit März 2020 konnte ich weder meiner beruflichen Selbständigkeit weiter folgen, noch meine damit verknüpfte Leidenschaft und Liebe zur elektronischen Musik ausleben.
Meine Webseite der Toxic Family erhielt seit dem keine Events zum Eintragen, denn es gab ja keine. News aus der Szene sind eher spärlich und bevor ich irgendwelche vagen Prognosen oder Gerüchte präsentiere, lasse ich es lieber ganz. Der Newsletter wurde von mir normalerweise einmal die Woche, an die ca. 18.000 Empfänger im Rhein-Main-Gebiet verschickt, doch seit einem Jahr waren es nur 11 Mal. Kein Newsletter, weil keine News & Events, keine Auftritte, keine eigenen Veranstaltungen, kein Einkommen.‘
Seit einem Jahr kümmert sich der Staat um mich, denn ich erhalte Grundsicherung. Das lief bisher auch alles sehr problemlos. Zusätzlich wurde mir mit der November-Dezember- und der Neustart-Hilfe finanziell geholfen. Das zahlt mir die Miete, füllt den Kühlschrank und lässt den Schwund am hart Zusammengesparten „noch“ verkraftbar erscheinen. Als Selbständiger Single sind meine Kosten nun mal überschaubar. Für mich funktioniert es somit gut, um davon leben zu können. Bei so manch anderem meiner Kollegen sieht es allerdings nicht so gut aus.
Habe ich ein schlechtes Gewissen, weil mir Vater Staat unter die Arme greift? Nein. Denn ich zahle seit meiner Ausbildung brav meine Steuern und bin ein unbescholtener Bürger. Ich bin nicht an dieser Misere schuld und schon gar nicht, dass durch schlechte Politik und Missmanagement, sich die Situation eher länger hinzieht, als bald vorbei zu sein.
Als Ausgleich zu all dem fehlenden Einsatz für Events und Gigs, den Nächten im Club und am DJ-Pult, habe ich mir einen Kanal auf der Streamingplattform Twitch aufgebaut. Eine Idee, die ich schon seit einigen Jahren mit mir rumtrug und nun endlich umsetzte. Zeit hatte ich ja nun genug. In dem einen Jahr ist eine kleine aber treue Community herangewachsen, welche den fehlenden sozialen Kontakt im Leben zumindest ein wenig kompensieren kann. Und dies tut nicht nur mir, sondern auch den Leuten gut, die mit mir beim Gaming, Chatting oder zu elektronischer Musik auf Twitch interagieren. Das gibt sehr viel und hält einen davon ab, an manchen Tagen völlig gaga zu werden.
Die Hoffnung, dass alles irgendwann wieder normaler wird, diese Hoffnung ist da. Doch zögerliche Realismus ist der Weg, dem ich dabei folge, um am Ende nicht zu sehr enttäuscht zu werden.
Und dann gibt da noch all die anderen Dinge, die ich mich Frage. Was wird am Ende noch übrig sein? In welcher Verfassung wird die Szene sein? Und werden wir so unbesonnen weitermachen wie bisher? Oder werden wir endlich anfangen etwas nachhaltiger zu agieren? Denn die Aufwärtsspirale der Jahre zuvor, in der wir uns befanden, diese sollten wir nicht wieder anstreben. Das war Gift für die Szene und unsere Umwelt. Einige Acts und Veranstalter*innen äußerten sich in den letzten Monaten zu diesen Themen und ließen sich über die negative Entwicklung und Zustände im Techno-Biz öffentlich aus. Der Zuspruch, an all der berechtigten Kritik, war zumindest in den sozialen Medien groß, doch das allein reicht eben nicht.
Was wird also nach der Pandemie? Wird es weitergehen getreu dem Motto „alles muss noch geiler werden als beim letzten Mal“, „immer größer, krasser und mehr“? Werden DJ-Gagen und Eintrittsgelder somit weiter ansteigen, wie in den letzten Jahren vor Covid? Scheißen wir auf die Erkenntnisse, die wir in der Auszeit gesammelt haben? Oder, werden wir endlich wieder etwas geerdeter und nachhaltiger für unser aller Zukunft? Das zumindest würde ich mir wünschen. Wieder mehr Augenmerk für die Dinge, die wirklich zählen. Musik und Gemeinschaft. Weg von all den überzogenen Hypes, Starkults und Größenwahn der Jahre zuvor.
Doch das alles können wir nur gemeinsam voranbringen. So muss sich am Ende zeigen, wie Veranstalter und Publikum sich zukünftig verhalten werden. Es wäre allerdings ein fataler Fehler, wenn wir aus all dem nichts gelernt hätten.
Seyed Key (Move / New Stylez)
Deejay
Wer hätte vor zwei Jahren damit gerechnet, dass wir heute in solch einer Situation stecken.
Auch für mich brachte Corona eine schwierige Zeit mit sich – mit einem sehr schweren Coronaverlauf in der engen Familie. Die Angst, jemanden für immer zu verlieren, werde ich wohl mein Leben lang mit Corona in Verbindung bringen.
Doch hatte ich auch Glück, denn dank familiärer Unterstützung hatte ich zu keinem Zeitpunkt Existenzängste, auch wenn das bedeutete, eine Zeit lang wieder bei den Eltern zu wohnen. Dort hatte ich viel Zeit zum reflektieren, und erst dort wurde mir bewusst, welch ein riesiger Druck seit dem Beginn meiner Selbstständigkeit auf mir lastete:
Der verstärkte Fokus auf Social Media in den letzten Jahren bedeutet jeden Tag hunderte Fotos von Kollegen zu sehen, die gefühlt sieben geile Gigs die Woche spielen. Man vergleicht unweigerlich die Likes auf Facebook und Instagram sowie die Plays auf Soundcloud. Man sieht die ganzen Artists mit besseren Zahlen und fragt sich, ob man in fünf Jahren an einem Punkt ist, nicht nur sich selbst, sondern auch seine Eltern bzw. Frau und Kind finanzieren zu können. Man schaut nur auf die Künstler, bei denen es scheinbar besser läuft und lässt sich davon runterziehen.
Momentan spielt (so gut wie) niemand Gigs und es herrscht absoluter Stillstand, gegen den niemand etwas machen kann. Es gibt keine Gigs, mit denen man sich selbst profilieren könnte, kein gefühlter Zwang, alle zwei Tage etwas zu posten, um die Algorithmus-Maschine am Laufen zu halten, oder irgendwelche Promotion-Pläne von Veranstaltern.
Mir wurde erst jetzt klar, wie sehr mich das alles belastet, und damit habe ich zumindest eine gute Erkenntnis, die ich aus dieser Zeit mitnehmen werde.
Tom Schön (Colours / Tanzhaus West / Richtig Raven)
DJ / Producer / Veranstalter
Über 1 Jahr Corona Pandemie, Stille und Alarmstufe Rot. Ein Virus geht um die ganze Welt und sie scheint still zu stehen. Wer hätte im März 2020 daran gedacht, dass man so eine Pandemie in der heutigen Zeit mal in Wirklichkeit erleben müsste, was man sonst nur aus Filmen kennt. Seit über 1 Jahr viele Freunde und Familie nicht mehr gesehen. Kaum soziale Kontakte außer auf der Arbeit, im Supermarkt oder übers Internet. Keine Clubs, Bars, Restaurants uvm. nicht mehr geöffnet. Kein Tanzen mehr mit Freunden und Fans. Keine Einkünfte mehr durch Auftritte oder Veranstaltungen. Geschäfte öffnen und schließen wieder. Eine Entscheidung jagt die nächste. Das Leben wurde komplett zurückgefahren, und die ganze Situation stellt uns weltweit immer wieder auf eine harte Probe.
Man muss sich immer wieder neu organisieren. Privat, wie auch im Job. Da bin ich wirklich froh, eine Arbeitsstelle zu haben, die ich trotz der Pandemie ausüben kann. Als DJ und Producer war ich zuerst wie in einer Art Trance, oder einer Art Tiefschlaf gefangen. Es war die totale Entschleunigung. Ich hatte plötzlich keine Lust und Elan mehr auf irgendwas. Ich konnte anfangs mit dieser Situation erst gar nicht richtig umgehen. Man beschäftigte sich halt irgendwie. Einzig die Liebe zur Musik, die ja schon sehr lange in meinem Leben eine sehr große Rolle spielt, ließ mich wieder erwachen. Ich verbrachte viel Zeit im Studio um zu produzieren, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.
Ich brauchte das auch, um dem tristen und ungewohnten Alltag zu entfliehen. Ich hörte viele alte Platten durch, sortierte sie neu, was sollte man auch anderes machen. Ich digitalisierte aus Langeweile alte Mixe. Wer weiß, wann ich sonst mal die Zeit und Lust dafür gefunden hätte. Ich designte neue Logos für Merchandise und plante eine neue Eventreihe mit dem Namen RICHTIG RAVEN, die jetzt am 26.06.2021 sein Debüt im E-Werk in Wetzlar hat. Es war also auch eine sehr kreative Phase für mich. Dadurch bekam ich auch wieder jede Menge neue Inspirationen für neue Tracks.
Jede Veränderung bringt ja auch immer wieder was neues. Das ganze Leben besteht nun mal aus Aktion und Reaktion (drittes newtonsches Axiom), d.h. Kräfte wirken immer zwischen zwei Objekten. Kraft erzeugt Schub und Schub erzeugt Kraft. Also lasst uns zusammenhalten und einfach weiter machen. Verliert nicht den Mut.
Ein Leben ohne Musik und tanzen ist und bleibt für mich keine Option. Ich wünsche mir für euch alle da draußen, dass dieser Virus-Spuk bald ein Ende hat und wir alle wieder das normale Leben genießen dürfen. Ich freue mich auf die Zeit, wo man sich wieder mit seinen Liebsten treffen kann. Sei es im Club, im Biergarten, beim Sport, beim Essen gehen oder sonst wo. Einfach die schönen Dinge des Lebens genießen. Hört weiterhin Musik, unterstützt uns Künstler, tanzt durchs Wohnzimmer, den Garten oder wo ihr sonst gerade seid und verliert nicht die Lust am Leben. Passt weiterhin gegenseitig auf euch auf und helft denen die es nötig haben, die vielleicht nicht soviel Kraft haben wie Ihr.
Jermaine Dotson (Electric Grooves / Tanzhaus West)
Veranstalter / DJ / seit 12 Jahren
Puuuhhhh…. über 1 Jahr Corona. Über 1 Jahr ohne Veranstaltungen.
Doch für mich bedeutet das noch viel mehr.
Über 1 Jahr Berufsverbot, kein Einkommen, kein gemeinsames Tanzen, ohne mein Hobby. Über 1 Jahr nicht mehr das tun können, was ich am meisten liebe.
Über 1 Jahr Ungewissheit.
Das war natürlich für alle ein extrem schwieriges Jahr, aber gerade die Veranstaltungsbranche hat es besonders schwer getroffen.
Zu Beginn der Pandemie, muss ich sagen, war ich noch sehr hoffnungsvoll, dass wir das ganze schnell überstehen und bald schon wieder zur Normalität zurückkehren können.
Jetzt so rückblickend betrachtet war das natürlich ne komplette Fehleinschätzung.
Und selbst nach über einem Jahr gibt es für uns immer noch kaum echte Perspektiven, wie und wann es denn in irgendeiner Form weitergehen könnte. Das nagt natürlich mit der Zeit an den Nerven. Mit der anhaltenden Situation kommen dann mehr und mehr Zukunftsängste hinzu: Wann geht es weiter? Wie wird es weiter gehen? Ist das, was wir früher gemacht haben, in der Zukunft überhaupt noch möglich? Ist unser Produkt später noch gefragt? Überlebe ich als Selbständiger die Pandemie überhaupt?
Doch ich versuche hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken, und sehe auch eine tolle Möglichkeit, dass die Szene wieder gesünder und vereinter zurückkehren wird. Dass wir als Gemeinschaft wieder mehr zusammenhalten als zuvor und noch wildere Nächte durchtanzen.
Rave never dies
Anthony de Guzman aka DeGuzman (ROOF 175 / Vollgaaas Entertainment / Hard Bock Drauf)
DJ / Veranstalter / Labelbetreiber / Booker / seit 9 Jahren
Das Nachtleben liegt brach und damit unsere Leidenschaft.
Für viele heißt es Existenz. Hauptberufler wie DJs, Eventmanager, Veranstaltungstechniker und natürlich die Clubs an sich, standen und stehen vor einer Wand der Ungewissheit.
Ich kann mich in dieser Situation zu den Glücklichen zählen, der neben der Musik noch einem Hauptberuf nachgehen kann und somit mein Lebensunterhalt gesichert ist. Aber meine Gedanken und Gefühle sind hier ganz klar bei meinen Kollegen, die den Schritt in die komplette Selbständigkeit mit ihrer Musik gewagt hatten. Die sich durch Papierkrieg und Anträge kämpfen mussten, bevor nur ein Ansatz von Hilfe oder besser gesagt ein Tropfen auf dem heißen Stein bei ihnen ankam.
Mittlerweile stehen wir über ein Jahr im runtergefahrenen Nachtleben. Ja, die Hilfen für Künstler und Clubs sind besser und erreichbarer geworden, doch natürlich nicht zu vergleichen mit einer intakten Branche, die wir sonst ganz klar waren!
Auch für unser Club Projekt ROOF 175 in Mainz ist es alles andere als einfach, nach ca. anderthalb Jahren nach der Öffnung und viel Reinvestition in Umbau der Location, solch eine Situation zu meistern! Doch wir bleiben am Ball, für die Mainzer Szene und das Nachtleben generell.
Wie es weiter geht…wird immer schwerer zu erkennen.
Mein Wunsch: Dass weniger Menschlichkeit auf der Strecke bleibt und wir dort anknüpfen können, wo wir musikalisch aufgehört haben.
Doch auch in der dunkelsten Zeit ist nicht immer alles schlecht. Mit der nun mehr als vorhandenen Zeit und Energie meinerseits habe ich mich endlich an das große Thema „Musikproduktion“ gewagt. Was mich sehr erfüllt und musikalisch weiterbringt.
Ich freu mich jedenfalls auf die Zeit, in der wir endlich wieder ausgelassen tanzen, lachen und zusammen sind.
Sascha Krenn aka Sonic-Warrior (Hard Impact / Tanztrieb)
Veranstalter / Festival Bus-Touren / seit 1999
Niemand von uns hätte gedacht, dass wir mal über ein Jahr unsere Leidenschaft nicht ausüben und Gäste glücklich machen dürfen. Ein echt krasses Jahr, anfangs hab ich direkt alles abgesagt und den Leuten ihr Geld zurück erstattet. Über ein Jahr, wo auch ich persönlich oft Tage mit einer „Null Bock“ Phase hatte, was ich von mir gar nicht so kenne. Aber dies hat wohl damit zu tun, dass man teilweise gar nichts gegen die aktuelle Lage machen kann.
Was mich wirklich traurig macht ist: Diese Negativität in Kommentaren, Postings und Diskussionen, Shitstorms, Anfeindungen und alles. Seid doch lieb zueinander, nehmt euch virtuell in den Arm, redet Freunden und Mitbewerbern auch mal gut zu. Ich hoffe, dies wird die Szene von ihrem Charakter nicht negativ verändern.
Im Prinzip hab ich wirklich wenig gemacht seit Beginn der Krise. Ich konnte nur eine Hard Impact unter den Corona-Auflagen durchführen, diese war aber zumindest ausverkauft und wirklich sehr cool. Anfang 2021 habe ich dann tatsächlich angefangen mit einem wöchentlichen Hard Impact Podcast auf Soundcloud von Hard Techno über Tekk bis Uptempo und Speedcore. Also die härtere Kategorie, und dies kommt auch echt gut an. Ich versuche mich gerade mit Videoanimationen und möchte die Mixe dann auch auf Youtube veröffentlichen. Irgendwie sollte man ja schon in den Köpfen bleiben, und neue Skills lernen ist auch nie verkehrt.
Ich bin trotz der aktuellen Lage aber guter Dinge, auch wenn jetzt über ein Jahr lang kein Geld reingekommen ist. Ich mache es ja vor allem auch aus Liebe zur Musik und zum Feiern. Für die Bus-Touren sind wir auf jeden Fall vorbereitet, die Busse sind mit speziellen Virenfiltern ausgestattet, und ein komplettes Schutzkonzept ist vorhanden. Den Hard Impact Podcast werde ich auf jeden Fall weiter führen und ausbauen. Für eigene Veranstaltungen habe ich zwar ein Konzept, aber mir noch nicht wirklich Gedanken dazu gemacht. Jetzt im Sommer wird es ja hoffentlich wieder einige kleine Events geben, wenn es die Zahlen zulassen.
Ich wünsche auf jeden Fall allen Szeneaktivisten, dass sie durchhalten und allen Party People kann ich sagen, dass wir alle so Bock haben wieder mit euch zusammen die Tanzflächen zum schmelzen zu bringen! Bleibt gesund.
Love, Peace and Unity
We Are Together (Tanzhaus West)
Veranstaltungsreihe / Künstlerkollektiv
Wir sind mittlerweile im neunten Jahr unserer We Are Together. Wie der Name der Eventreihe schon aussagt, geht es um ein tolles Miteinander, die Leidenschaft an der Musik zu teilen, mit all den Menschen, die einfach den Alltag mal vergessen möchten, um in eine andere Welt einzutauchen und das Gefühl von Freiheit und Gemeinschaft verspüren zu können. Dies ist nun seit mehr als 1 Jahr nicht mehr möglich und eine Aussicht auf Besserung ist leider immer noch nicht wirklich zu sehen. Neben den finanziellen Schaden, ein Jahr lang keine wirklichen Einnahmen zu generieren, ist auch der soziale und persönliche Kontakt zu den ganzen Menschen, der einfach fehlt.
Wir als Gemeinschaft haben in der Krisenzeit versucht einige Projekte anzugehen. Auch für unsere Acts, um etwas Abwechslung zum Alltag zu bieten. Darum haben wir uns Projekten, wie den Sommergarten Events unserer Homebase Tanzhaus West, oder auch dem Kooperationsprojekt einiger Veranstalterkollegen Sub-Stream Frankfurt angeschlossen. Um den Leuten ein wenig Musik zu überliefern, auch um ein gewisses Gefühlt und Vibes an die Menschen in dieser Zeit zu vermitteln. Dazu kommen dann noch eigene Projekte oder Änderungen, die wir angegangen sind.
Besonders schwer ist derzeit das Leben zu genießen, da zur Krise natürlich bei den Acts, die noch zusätzlich einen anderen Beruf ausüben, auch noch die Kurzarbeit hinzugekommen ist, oder die sogar Corona-bedingt eine Kündigung Ihrer Arbeit erhalten haben. Auch unsere Jungs, die in der Selbstständigkeit sind, mussten sich übergangsweise in der Krisenzeit wieder auf einen Job bewerben, um am Ende über die Runden zu kommen, oder sie mussten um Ihre Selbstständigkeit sehr hart kämpfen, damit Aufträge an Land gezogen werden konnten.
Auf eine anständige Hilfe von unserer Regierung konnte man ja nicht wirklich hoffen und ist auch bei Allen eigentlich nicht so wirklich eingetreten. Klar, man konnte mit den kleinen Hilfen vlt. ein wenig sein Leid mildern, aber Überleben war definitiv bei keinem der Fall. Das wir uns intern aufeinander und auch auf unsere Freunde verlassen konnten, dort jeder für jeden da ist, das konnte man in dieser bisherigen Krisenzeit sehen und erleben. Am Ende ist dies auch das Wichtigste. Fazit, wir werden das Ganze überleben und werden dann auch wieder für unsere Leidenschaft, die Musik und Berufung da sein.
Es ist eine sehr schwere Zeit für Clubbetreiber, Gastronomie, Bars, Künstler, DJs, Bands, Barpersonal etc., darauf kann man einfach nicht genug hinweisen, da diese Branchen einfach ohne richtiges Konzept oder Aussichten stehen gelassen wurden. Hier muss wirklich etwas passieren. Außerdem wäre es einfach mal wieder schön, mit Partnern und Freunden zusammen etwas zu schaffen. Aber auch einfach mal wieder unter Menschen zu sein, wie zum Beispiel bei einem Restaurant Besuch.
Gunman (Shaker Plates)
Deejay / Laden- & Labelbetreiber / aktiv seit 1994
Ich stehe seit 1994 an den Plattentellern und in den Clubs.
Mit zunehmenden Alter wird man schon etwas ruhiger und ich kann diese Krise ganz gut verkraften. Doch so langsam verliert man auch die Anknüpfungspunkte. Produzieren und Release ja – aber für was? Ich habe die Veröffentlichungen bei meinem Label Shaker Plates erstmal eingestellt. Wo und wie soll die nächste/erste Party sein? Mit was gibt man sich zufrieden? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es irgendwann weitergeht.
Ein Kommentar
Hallo an alle breakbeat junkies.
Ich gehöre zur älteren techno Generation. Bin im Dorian Gray, im Omen und im Airport (WÜ) aufgewachsen. Hab mit Torsten Fenslau siniert, gefeiert und auf seinen unvergleichlichen Clubsound getanzt. War auf der ersten Mayday in DO, noch in der alten Halle mit Bretterfussboden. Ich wäre auch ohne Pille so geflashed gewesen wie nie zuvor …
Als der rave einging wie ein alter Hund und techno in D sich in einen e-Musik Einheitsbrei zu transformieren, bin ich mit meiner Freundin einfach mal nach Holland gefahren. und nun seit über 14 Jahren mehr als oft dort. Hardstyle, Hard Dance, Classics, Reminder, Rave … wir lieben die clubs und die big events.
ABER: In Holland waren im August und September an 2 Samstage über 70k Leute alleine in Amsterdam auf der Strasse um die clubs und die Events zu ermöglichen.
KEINE Polizei!!! 70k hardstyler die ohne Maske und Abstand (in Holland seit Juli beides abgeschafft ausser ÖPNV). für „unmute“ neben techno Trucks demonstrierten. Jaaaaa mit Time Table.
Und? Seit 15 Sept sind in Holland ohne Regeln oder Einschränkunken Events und Clubs indoor möglich. NUR 75% Auslastung. Nur bis 24 Uhr (Beginn daher wie bei allen NL outdoorevents seit Jahren 15 Uhr).
Läuft. Geil. Lage und Impfstatus fast wie in D.
Aber wir haben unsere Demokrtie aufgegeben.
Und keine Sau wehrt sich.
Moin. Aufwachen. Lasst endlich wieder die wissenschaftliche Vernunft und die Realität unser Handeln bestimmen.
In diesem Sinne: See you nearly every Saturday in Zandam. Die Hemkade bebt jedesmal. Multigroove als Veranstalter hat gekämpft. Yeah.
Udo L.