Seit der Corona-Zeit bin ich, wie auch viele weiteren DJ-Kollegen, auf der Live-Streamingplattform Twitch.tv als DJ und auch Gamer aktiv.
Damals als die Clubs zu hatten, da gab es diesen riesigen Boom, weil viele Acts nach Alternativen zu den fehlenden öffentlichen Auftritten gesucht hatten. Was allerdings bis heute nie richtig geklärt wurde, war die Sache mit dem Urheberrecht. Es ist bis heute eher eine Grauzone, wenn man als DJ Musik live streamt. Twitch war in der Hinsicht eigentlich die einzige Plattform, wo man ohne mitten drinnen abgeschaltet zu werden, wie z.B. auf Facebook oder YouTube, Musik live streamen konnte. Dennoch gab es nie einen rechtlichen, sauberen Rahmen dafür.
Twitch hat nun ein DJ-Programm angekündigt, das dieses Thema angehen will. So sollen DJs bald, ohne Probleme mit dem Urheberrecht, Musik spielen können, und die Labels / Künstler sollen dabei auch eine Vergütung aus den Einnahmen der Streamenden erhalten. Klingt irgendwie erstmal gut und fair, doch natürlich gibt es da auch ein „Aber“.
Charts hui, Clubmusik pfui?
Von meiner Position aus und sicher auch für viele weitere DJ-Kollegen aus dem Bereich elektronische Clubmusik wird dieses Programm sicher nicht geeignet sein. Der große Knackpunkt ist nämlich, dass man nur Musik aus einem vorgegebenen Katalog spielen darf. Dieser wird vor allem sehr viel den Mainstream abdecken und vor allem von den großen Labels vorgegeben. Klar sind dabei Labels wie Sony, Warner, Universal und weitere ganz vorne in dem Deal dabei. Doch diese Labels decken weder meinen Musikstil als DJ ab, noch habe ich Lust, mich durch einen Katalog künstlerisch einschränken zu lassen. Diesen Punkt sehe ich zudem kritisch, weil die Labels im Grund damit Steuerungsmöglichkeiten haben, Musik auch gezielt auszuschließen.
Verbote und Regeln
Dazu kommt ein Verbot, mit Ankündigung von Sanktionen, wenn man Pre-Releases spielt. Also Promos von Tracks, die noch erscheinen. Dabei hoffen aber gerade die Labels und Producer elektronischer Clubmusik, dass ihre Tracks schnell in den Playlists der DJs auftauchen und so mehr Aufmerksamkeit generiert wird. Gerade Promos sind für viele DJs auch ein guter Garant, ihrem Publikum noch vor dem öffentlichen Release etwas Besonderes zu bieten und Acts damit auch zu unterstützen. Ich präsentiere regelmäßig neue Musik, kommuniziere dies und geben auch gerne die Namen der Künstler und Tracks weiter. Zudem spiele ich auch immer mal wieder inoffizielle Edits und Remixe. Diese dürfte ich aber auch nicht spielen, nach der Definition von Twitch.
Ein weiterer Punkt ist, dass man keine VODs (Aufzeichnungen des Livestreams), noch nicht einmal kleine Clips oder Highlights, anbieten darf. Also alles, was den Livestream in Videoform konserviert würde, wäre dann verboten. Gut, dieser Punkt ist noch mal eine andere Art des Urheberrechts, die Twitch bisher nicht gelöst hat und wo es in der Vergangenheit schon zu wilden Löschorgien kam, aus Angst vor einer Strikewelle durch die großen Labels. Zur Not kann man als Streamer aber auch auf Alternativen ausweichen, um Mitschnitte zu konservieren. Doch durch dieser Regelung wird das Profil des Streamenden dennoch sehr leer am Ende bleiben.
Da ich auf meinem Kanal ab und an auch Gaming streame, müsste ich zudem mit der neuen Regelung meinen Kanal splitten. Also einen neuen Kanal erstellen, um damit Gaming und Musik zu trennen, damit die Einnahmen sich nicht vermischen. Ich müsste somit wieder bei 0 Followern anfangen. Na danke.
Viel Fragen offen
Das Programm macht sicher Sinn für alle, die eher radiotaugliche, Chart- und andere Populärmusik der Big Labels spielen und keinen Strike wegen Urheberrechtsverletzung (nach 3 Strikes wird der Kanal gesperrt) kassieren wollen. Im Blog-Eintrag von Twitch heißt es ja auch, es geht extra um Populärmusik. Im Bereich elektronische Clubmusik, abseits von irgendwelchen Charts oder Radioausspielungen, macht das Programm daher scheinbar wenig Sinn.
Bisher gibt es nur die Ankündigung im Blogbeitrag und eine Infoseite, die aber eher viel PR sind, als dass man jetzt schon mit klaren Punkten das Programm einsehen könnte. So ist noch gar nicht klar, wie umfangreich der Musik-Katalog wird, oder wie hoch der Anteil, der Abgaben der Streamenden, an die Labels sein wird. Wie die Umsetzung letztendlich wirklich im Detail aussehen wird, ist daher noch völlig unklar.
Sicher ist das Anliegen, Künstler:innen an den Einnahmen der Livestreams zu beteiligen, bei denen deren Musik verwendet wird, ein gutes Ansinnen. Doch wenn am Ende doch nur wieder die großen Mainstream-Labels etwas davon haben, dann sind wir fast wieder bei der GEMA-Thematik und Dieter Bohlen. Ihr wisst schon, weil das Gema-System unfair ist und Dieter mehr als andere davon profitiert. Die Frage, wie hoch die Transparenz am Ende sein wird, stellt sich mir auch noch. So ist die Berechnung der Abgaben an die Labels noch völlig offen.
Im Moment soll das DJ-Programm freiwillig sein. Los soll es im Juli/August gehen. Wer also Charts oder viel von den großen Labels und deren Katalog spielt, für den könnte dieses Programm Rechtssicherheit bieten.
Für mich erscheint es bisher allerdings uninteressant zu sein und hätte mehr Nach- als Vorteile. Daher werde ich nicht in das DJ-Programm gehen, auch wenn ich dann nicht in der neuen DJ-Kategorie spielen darf. Aber mal abwarten, wie die Umsetzung dann am Ende wirklich wird. Ich bin da sehr gespannt und finde diesen ersten Schritt zumindest nicht verkehrt, wenn es um mehr Rechtssicherheit und Fairness geht. Wenn es neue Updates zu dem Thema gibt, kann ich ja wieder berichten.
Euer Grille
Blog-Beitrag: blog.twitch.tv
Ankündigung: twitch.tv/dj-program/info
Mein Twitch-Kanal: twitch.tv/grilleffm
Ein Kommentar
Schade eigentlich, klingt nicht wirklich durchdacht, sondern mehr nach einer verpassten Gelegenheit. Aber bei Twitch stellt sich ohnehin die Frage, wie es weitergeht. Es sieht aus, also wolle Papa Amazon nicht mehr ewig Geld zuschießen…