Bei Musik lasse ich mich ja eher weniger von Hypes beeinflussen, und Trends sind mir relativ gleichgültig, auch wenn ich natürlich meine Nase bzw. Ohren auch da mal hineinhalte. Doch im Grunde ist es mir relativ egal, ob ein Style, Track oder Act gerade angesagt oder ständig in irgendwelchen Top-Listen vertreten ist.
Ich höre mir vieles aus unterschiedlichen Richtungen an und entscheide dann, ob es mich anspricht oder mein Sound ist. Auf diese Weise habe ich auch ganz entspannt Trends wie Schranz, Minimal, Dubstep, Darktechno und anders überstanden.
Von TikTok gehypt
Vielleicht ist man auch mit der Zeit etwas gelassener und lässt sich von angeblichen Trends und Hypes nicht wirklich beeindrucken. Bei der jüngeren, noch formbaren Generation ist das schon etwas anders. Sie werden z.B. auf TikTok in einer tsunamiartigen Art und Weise bei Hypes & Trends mitgerissen. Corona hatte dies noch mal wie ein Katalysator stark beeinflusst, da der Medienkonsum in dieser Zeit enorm angestiegen war. Seitdem ist TikTok eine Art Taktgeber bei der Jugend und leider auch mit sehr vielen negativen Begleiterscheinungen. Doch das ist noch mal ein ganz anderes Thema.
In der Corona-Zeit fing es aber an. Denn dort verbreiteten sich die ersten „neuen, trendigen“ Sounds, die schnell auf die damals, meist illegalen, Raves transportiert wurden. Der Sound war das komplette Gegenteil zum Lockdown und der damaligen Entschleunigung der Gesellschaft.
Ein Teil des Sounds, der zu dieser Zeit entstand und der aktuell von vielen jungen Leuten gefeiert wird, ist sehr schnell, oft mit einfachen melodischen Elemente und ist größtenteils produktionstechnisch sehr einfach in seiner Struktur gehalten. Keine komplexen Klangteppiche oder umfangreich inszenierte Grooves und Basslines. Alles recht Basic halt.
Ansprüche sind subjektiv
Die nächste Stufe dieses Sounds sind dann Bootlegs und Remixe. Größtenteils von irgendwelchen alten Tracks sowie vergangenen Pop- Rap- und Chart-Songs. Da wird wirklich vor nichts Halt gemacht. Das kann einem echten Musikliebhaber schon mal das Herz zerreißen. Doch scheinbar ist es für viele Jünger eine Art Trigger um emotional berührt zu werden, wenn Ihre musikalischen Kindheitserinnerungen zu neuem Leben erweckt werden. Dass der Anspruch an gewisse qualitative Ansprüche da manchmal auf der Strecke bleibt, liegt wohl an der Sache an sich. Denn wenn wir ganz ehrlich sind, musste wohl jeder von uns erst eine Art musikalischen Reifeprozess durchmachen, bis gewisse musikalische Qualitätsmerkmale geschätzt wurden.
Wer aber nun glaubt, dass diese Sound-Erscheinung etwas völlig Neues ist, liegt falsch. Denn das, was da als der „Neue Sound“ gefeiert wird, gab es schon einmal.
Das war alles schon mal da
Ab den mittleren 90er Jahren, als die Technoszene so richtig im Hype war und jeder seinen Teil davon abhaben wollte, wurden wir regelrecht mit schnell produziertem Ravesound überschüttet. Denn der Sound, der heute so gefeiert wird, ist in seiner Grundsubstanz 90er Ravesound. Teilweise sind die Strukturen sehr ähnlich, manchmal etwas abgewandelt, manchmal mit anderen Elementen oder Styles vermischt. Aber alles erinnert doch stark an den Sound von damals, und einiges von damals könnte man auch heute ohne Probleme in solche Sets einbauen.
Das ist mir z.B. erst so richtig bewusst geworden, als unser lieber Kollege Étienne bei uns zu Gast in unserer Radioshow war und ich ganz bewusst seinem Sound lauschen konnte, in dem er eben jene aktuellen Einflüsse mit verbaute. Die Erkenntnis, dass ich da gerade die Renaissance des Ravestyle hörte, war schon irgendwie strange. Aber gut, ich selbst hatte nun mal das Original in den 90s miterlebt und war nicht von allem der größte Fan.
Deutscher Rave-Chart-Sound
Bei dieser Erkenntnis erinnerte ich mich auch an andere Dinge von damals. Denn, wenn wir jetzt noch mehr in Richtung der aktuellen Chartmusik schauen, würde ich sogar den Take aufstellen, dass heutige Acts wie Domiziana oder Ski Aggu das Blümchen von heute sind. Ihr wisst schon, Blümchen… Herz an Herz und so… das war praktisch der damalige Deutsch-Rave-Sound in Höchstgeschwindigkeit. Denn um die 180 BPM waren bei Blümchen keine Seltenheit. Auch Domiziana und Ski Aggu haben Beats bis um die 160 BPM am Start. Und auch der Sprechgesang auf Deutsch verbindet sie mit Blümchen. Eines hatte Blümchen ihnen aber voraus: Ihre Tracks waren deutlich länger als die zweieinhalb Minuten übliche Spotify-Länge.
Domiziana hat sogar bereits ein feat. mit Blümchen veröffentlicht. Damit scheint sie sich zumindest dem Ursprung ihres Sounds sehr bewusst zu sein und steht dazu.
Übrigens, es wurde auch in den 90s schon bekannte Chart-Tracks überarbeitet neu aufgelegt. Da gab es z.B. Alphaville „Forever Young“ in der Rave-Version von Interactive und es gab so Kuriositäten, wie Dolls United „Eine Insel mit zwei Bergen“, wir haben dafür in der heutigen Zeit so Sachen wie „Joost, Ski Aggu & Otto Waalkes – Friesenjung“.
RaveBase 202X
Es ist schon verrückt, dass gerade der Ravesound nach so langer Zeit nun wieder populär wurde. Und ja, wie damals auch, hat es auch negative Seiten, zumindest aus der Sicht eines Musikliebhabers, weil es qualitativ enorme Unterschiede bei all dem Output gibt. Es kann ja praktisch jeder, egal welche Produzentenfähigkeiten er hat, aus seinem Wohnzimmer veröffentlichen.
Aber auch schon damals wollten viele Labels was vom Hype abhaben und man wurde praktisch mit CD-Compilations wöchentlich zugeschmissen. Meist waren dann auf den CDs 2-3 bekannte Tracks für die Werbung und der Rest war schnell produzierte Massenwaren, die vieles einfach nur nachmachte, nur eben in „so lala“. Ich warte also im Grunde nur noch darauf, dass irgendwer auf die Idee kommt, die RaveBase Compilation wieder zum Leben zu erwecken. Die ruht nämlich seit 2002.
Rave is back
Wie auch immer, die Jugend feiert gerade diesen Sound und entdeckt dabei eventuell ihre ganz eigene erste musikalische Ekstase. Und vielleicht, nach Abklingen des Trends, tauchen einige in den vielschichtigen Rest elektronischer Musik ein und finden dort ein musikalisches Zuhause auf länger. Wäre schon nice irgendwie und sicher auch nicht anders, als es damals bei vielen in den 90s der Fall war.
Ein Kommentar
Ist das nicht wunderbar? Musik/Kunst neu zu interpretieren ist doch das schönste Kompliment, das man einer Epoche machen kann. Bin letztens völlig unvorbereitet im Tanzhaus in das Set von Alfred Heinrichs gestolpert (www.youtube.com/@alfred-heinrichs) und die Jungen haben es gefeiert! Ich auch 🙂